Metrik, das Versmaß
Die Metrik, auch Verslehre genannt, bezeichnet die Gesetzmäßigkeiten und Regeln des Versbaus und
der Versmaße in der Dichtung sowie allgemein die Verskunst.
Es gibt drei Möglichkeiten der Sprachlenkung im Gedicht:
1. die quantitierende (messende)
2. die akzentuierende (wägende)
3. die alternierende
Beim quantitierenden Versbau der altgriechischen und altrömischen Verskunst entsteht der
Versrhythmus durch die historisch bedingten Quantitäten (Sprechdauerzeit der Silben von lang und
kurz).
Beim akzentuierenden Versbau der deutschen, englischen u.a. Verskunst sind Hebungen und
Senkungen des Versrhythmus grundsätzlich an den natürlichen Sprachduktus angepaßt, so daß Vers-
und Sprachbetonung übereinstimmen.
Beim alternierenden Vers wechseln Hebungen und Senkungen miteinander ab. Die kleinste rhythmische
Einheit des Verses ist der steigende oder fallende Versfuß.
Ein steigender Versfuß mit einer Senkung heißt Jambus = ~ _
( ~ = unbetonte [korrekte Darstellung nur als einfacher, nach oben offener Bogen]/ _ = betonte Silbe)
Ein steigender Versfuß mit zwei Senkungen heißt Anapäst= ~~_
Ein fallender Versfuß mit einer Senkung heißt Trochäus= _ ~
Ein fallender Versfuß mit zwei Senkungen heißt Daktylus= _~~
So gibt es Gedichte und Verse mit steigendem, fallendem sowie wechselndem Rhythmus. Als
Versschmuck gelten der Stabreim und der Reim in verschiedenen Formen, die Assonanz. Das
Hinausreichen eines Satzes über das Versende nennt man Versbrechung oder Enjambement. Oft steht
ein unbetontes Wort, Auftakt genannt, am Versanfang: In unterirdischer Kammer wird metrisch so
dargestellt, daß man den Auftakt "In" abteilt: ~| _~_~~_~.
Bekannte Versarten mit einem steigenden Rhythmus sind der Alexandriner, der jambische Funffüßler
(Fünfheber), der reimlose Blankvers, der jambische Vierfüßler (Vierheber), den besonders Schiller in
seinen Balladen verwendet. Verse mit fallendem Rhythmus sind der trochäische Vierfüßler (vgl. Schiller
"Hero und Leander"), der trochäische Fünffüßler (vgl. Schiller "Hektors Abschied"), der Hexameter und
der Pentameter.
Alte deutsche Verse sind der Stabreimvers, uspr. eine achthebige Langzeile, die aus zwei vierhebigen
Kurzzeilen besteht und durch Stabreim gebunden ist, der Nibelungenvers und die Knittelverse.
In der modernen Lyrik verwendet man vielfach freie Rhythmen.
Die einzelnen Verse werden zur Strophe verbunden. Strophenformen sind: Alkäische Strophe,
Distichon, lyrische Strophe des Minnesangs (Aufgesang), Sonett, Terzine und Stanze.
Der Ursprung der griechischen und römischen Metrik, die keine Verwandtschaft mit der Verslehre der
übrigen indogermanischen Sprachen aufweist, ist unklar. Der Hexameter tritt völlig durchgebildet in
Erscheinung, die übrigen Formen entstehen im 7. und 6. Jh. v. Chr.; mit dem 4. Jh. ist die Ausbildung
aller Formen beendet.
Die lateinische Metrik ist eine Nachahmung der griechischen, abgesehen vom Saturnier. Die Quantität
der Silben (Prosodie genannt) ist etwa die gleiche, jedoch wurde auf die langen Schlußvokale zumeist
verzichtet. Tiefgreifende Unterschiede im Gegensatz zur griechischen Versbildung zeigen die Dramatiker
der republikanischen Ära wie z. B. Plautus durch die Teilung bisher unteilbarer Langsilben (Longa).
Außerdem verwendet er zwischen kurz und lang schwankende (anceps) Akkorde vor seinen
Schlußsilben statt kurze (breve). Im Hexameter werden die Zäsuren anfangs breiter gehandhabt als im
Griechischen. Vergil führt aber diese Strenge wieder ein, verwendet sie aber an anderen Versstellen.
Horaz ersetzt in seinen lyrischen Strophen das anceps durch das longum (Langsilben) und regelt die
Zäsuren sehr streng. Die Strophik der griechischen Chorlyrik haben die Römer nicht übernommen.
Die deutsche Verswissenschaft hat sich lange mit den Theorien der quantitierenden antiken Metrik befaßt
und versuchte, diese schematisch auf den akzentuierenden deutschen Vers zu übertragen. Erst im 20.
Jh. ging man dazu über, den Vers nicht mehr in bezug auf sein Erscheinungsbild, sondern in bezug auf
seinen Klang hin zu erforschen. Damit wurde der Begriff Metrik zweideutig. In seiner ursprünglichen
Interpretation war der ganze Umfang der Verslehre gemeint. Heute erklärt Metrik bezüglich des
deutschen Verses nur noch dessen schematische Ordnungen. Dafür erweitert sich das Gebiet
der deutschen Verslehre gegenüber der antiken um Aussagen über die Schemata der Reimstellung.
Hexameter
Die metrische Grundeinheit (Metrum oder Versfuß) des Hexameter ist der Daktylus, der aus einer betonten
Länge (auch Hebung genannt) und zwei unbetonten Kürzen (auch als Senkung bezeichnet) besteht.
Folgende Symbole werden verwendet:
- Länge
= Länge als Ersatz für zwei Kürzen
+ Kürze
x syllaba anceps (lang oder kurz)
_ Verschmelzung oder Ausstoßen von Vokalen (Aphärese, Elision)
Der Hexameter setzt sich - wie schon der Name sagt (hex = sechs) - aus sechs Daktylen zusammen:
- + + / - + + / - + + / - + + / - + + / - x
Daktylus bedeutet Finger. Auch beim Finger folgen auf ein langes zwei kurze Glieder.
'Betont' wird immer die erste Länge, der erste Halbfuß eines Daktylus.
Der letzte Daktylus ist unvollständig, es ist ein katalektischer Versfuß, wobei die Silbe am Ende kurz oder
lang sein kann, eine sogenannte 'syllaba anceps'.
Grundsätzlich können zwei Kürzen durch eine Länge ersetzt werden. Wir sprechen dann nicht mehr von
einem Daktylus, sondern von einem Spondeus.
Im 5. Versfuß findet sich selten ein Spondeus.
Der Wechsel zwischen Daktylus und Spondeus bewirkt eine Veränderung der Sprachmelodie und steht im
direkten Zusammenhang mit dem Textinhalt. So drücken rein daktylisch aufgebaute Hexameter Bewegung
und Eile aus, wobei Spondeen eine Verzögerung und Getragenheit bewirken.
Hier zwei Beispiele:
quadrupedante putrem sonitu quatit ungula campum
- + + - + + - + + - + + - + + - x
Donnernd zerstampft im Galoppe der Huf den trockenen Boden. (Vergil, Aeneis 8, 596)
pontum_aspectabant flentes. heu tot vada fessis
- = - = - = - = - + + - x
Weinend betrachten alle die Tiefe des Meeres: Wehe, daß noch so viel Gewässer... (Vergil, Aeneis 5, 615)
Jeder Vers wird durch Atempausen gegliedert, durch Zäsuren oder Einschnitte. Eine Zäsur liegt vor, wenn
ein Wortende nicht mit dem Ende des Versfußes zusammenfällt, sondern inmitten eines Versfußes ein Wort
aufhört und ein anderes beginnt.
Die häufigste Caesur liegt nach der der dritten Hebung bzw. nach dem 5. Halbfuß (Penthemimeres):
aio te, Aeacida, / Romanos vincere posse
- + + - + + - = - = - + + - x
Neben der Penthemimeres findet sich auch sehr häufig eine Pause nach dem 4. Versfuß, die sogenannte
bukolische Diärese, die besonders inder Hirtendichtung (Bukolik) verwandt wird.
obstruat, at caelum certe patet; / ibimus illac.
- ++ - = - = - + + - + + - x
Ferner finden sich Caesuren nach der 2. Hebung, d.h. nach dem 3. Halbfuß (Trithemimeres), und nach der 4.
Hebung, d.h. nach dem 7. Halbfuß (Hephthemimeres). Diese beiden Caesuren treten in der Regel gemeinsam
auf.
armati / circumsistunt / ipsumque domumque
- = - = - = - = - + + - x
Der stärkste syntaktische Ruhepunkt ist meistens das (Enjambement), um die Versgrenze zugunsten einer
engen Verbindung der Verse zu verwischen und sich der 'rhythmischen' Prosa zu nähern.
Man spricht von einer Dihärese, wenn Wortende und Versfußende im Vers zusammenfallen.
Pentameter
Der Pentameter ist ein Hexameter, dessen 3. und 6. Metrum jeweils nur aus dem ersten langen Halbfuß
besteht. Es entsteht also ein Versmaß, daß um 2 Halbfüße kürzer ist, also nur aus 5 Metren besteht. Der
Pentameter hat aber wie der Hexameter 6 sogenannte Tonstellen ( lange Halbfüße zu Beginn eines Metrum).
Nach dem 5. Halbfuß findet sich immer eine Penthemimeres.
- + + / - + + / - // - + + / - + + / -
P = Penthemimeres
Nur in der vorderen Vershälfte können die Daktylen durch Spondeen ersetzt werden.
Das elegische Distichon besteht aus Hexameter und Pentameter jeweils im Wechsel.
Quantitätsregeln:
Eine Silbe ist lang (-):
· wenn ihr Vokal lang ist (Naturlänge)
· wenn auf einen kurzen Vokal zwei Konsonanten (oder auch mehr, auch 'x' oder 'z', nicht 'qu' folgen
(Positionslänge). Bei der Positionslänge ist es auch gleichgültig, ob die längenden Konsonanten zur
selben Silbe gehören oder am Anfang des folgenden Wortes stehen. Der Buchstabe 'h' wird am
Wortanfang vor einem Vokal nicht als Konsonant gewertet.
Alle anderen Silben sind kurz (+).
Ausnahme :
Folgt Muta (b, p, d, t, g, c, f) cum Liquida (m, n, l, r) - innerhalb ein und derselben Silbe - auf einen kurzen
Vokal, so ist die Silbe in der Regel kurz. Gehören die Konsonanten verschiedenen Silben an, so tritt
normalerweise die Positionslänge ein.
tenebrae
+ + -
Hilfen:
Lang sind alle Silben mit Diphthongen (Doppellaut 'ae' etc.).
Endsilben
· die mit einem anderen Konsonanten als 's' schließen sind kurz (mensam, mensas).
· Endsilben auf 'a' und 'e' sind meistens kurz.
· Endsilben auf 'i', 'o' und 'u' sind meist lang.
Kurz ist ein Vokal, auf den im selben Wort ein anderer Vokal folgt.
In drei- oder mehrsilbigen Wörtern sind betonte vorletzte Silben lang.
Darüber hinaus entscheidet einmal das Lexikon und zum anderen die Grammatik, ob ein Vokal lang oder kurz ist.
Im Hexameter ist der 5. Versfuß fast immer ein Daktylus, er endet also mit:
............. - + + - x
Im Pentameter können nur die zwei Versfüße vor der Penthemimeres durch Spondeen ersetzt werden; er endet also immer mit:
.............. - // - + + / - + + / -
P = Penthemimeres
Besonderheiten :
Aphärese: Der vokalische Anlaut bei 'est' wird nicht gesprochen, wenn das vorhergehende Wort auf einen Vokal oder 'm' endet.
faciendum est ==>> faciendumst
Elision: Das Zusammentreffen zweier Vokale über die Wortgrenze hinweg - ein Hiat - wird durch 'Ausstoßen' des ersten Vokals
vermieden. Dasselbe gilt auch, wenn ein Wort auf Vokal mit 'm' endet oder das folgende mit einem 'h' anfängt.
atque ita ==>> atquita quantum erat ==>> quanterat
Hiat: Das Zusammenstoßen von zwei Vokalen am Wortende und am Wortanfang wird innerhalb des Verses gelegentlich beibehalten,
um eine Pause anzuzeigen.
Eine Elision verhindert eine Pause. Zwischen Versende und Versanfang wird kein Hiat empfunden.
Synaloephe: Das Zusammentreffen zweier Vokale über die Wortgrenze hinweg - ein Hiat - wird durch 'Verschleifen' der Vokale
vermieden.
saepe ubi ==>> saepubi
Synizese: Aus zwei Silben mit Vokal am Anfang und am Ende (de-in-de) wird eine (dein-de).
Alexandriner
Der Alexandriner läßt sich erstmalig in der französischen Epik des frühen 12. Jahrhunderts (im Roman d‘Alexandre von Lambert le Torts)
nachweisen, eigentliche jedoch ist er nur eine Variante des klassischen antiken Tragödienverses (Sophokles), des jambischen Trimeters. Seit dem 16.
Jahrhundert wird der Alexandriner zum bevorzugten Vers der französischen Tragödien (Corneille / Racine), ein Jahrhundert später erklärt ihn Martin
Opitz in geringfügig abgewandelter Form zum Hauptversmaß deutscher Dichtung. Und in der Tat handelt es sich beim Alexandriner um den wichtigsten
Vers der barocken Verssprache – nicht nur in der Lyrik, sondern auch in Epik und Dramatik.
Der Alexandriner ist ein jambisch alternierender, sechshebiger Reimvers: er beginnt auftaktig, also mit einer unbetonten Silbe, dann wechseln sechs
Hebungen mit je einer Senkung. Die sogenannte Kadenz, das Versende, kann sowohl aus einer betonten ("männlichen") als auch aus einer unbetonten
("weiblichen") Silbe bestehen. Je nach Endung ist der Alexandriner damit zwölf- oder dreizehnsilbig. In der Mitte, nach der dritten Hebung, ist der Vers
durch eine Zäsur deutlich unterteilt, die zu einer antithetischen oder auch parallelen Gestaltung der beiden Vershälften einlädt. So beispielsweise bei
Gryphius in dem Gedicht Es ist alles eitell:
"DU sihst / wohin du sihst nur eitelkeit auf erden.
Was dieser heute bawt / reist jener morgen ein:
Wo itzund städte stehn / wird eine wiesen sein
Auff der ein schäffers kind wird spilen mitt den heerden." (S. 268f.)
a à a à a à / a à a à a à a
a à a à a à / a à a à a à
a à a à a à / a à a à a à
a à a à a à / a à a à a à a
Die antithetischen Möglichkeiten des Alexandriners macht der zweite Vers besonders deutlich, indem das konstruktive Bauen der Städte dem
destruktiven Einreißen gegenübergestellt wird. Die Querstriche, die in diesem Fall mit der Zäsur zusammenfallen, sind als von Gryphius gesetzte
Satzzeichen zu verstehen, die Zäsur liegt immer in der Mitte der Verse, also nach "sihst", "bawt", "stehn" und "kind". Liest
man das Gedicht laut, macht man an diesen Stellen unwillkürlich eine Pause. Die Versenden sind in diesem Gedicht gekennzeichnet durch einen
umarmenden oder Schweifreim, bei dem sich jeweils die beiden unbetonten (1. und 4. Vers) und die beiden betonten (2. und 3. Vers) Endungen
miteinander reimen. Es gibt aber auch Gedichte in Alexandrinern, die in Paarreimen geschrieben sind.
Zäsur (Lat. Schnitt): Einschnitt (Satzende) innerhalb eines Versfusses
So als kurze Definition. Grundsätzlich kann man heute sagen, dass es durch das Ende einer syntaktischen Einheit gebildet wird.
Bsp:
a) Wer kommt dort von der Höh? Es ist der Postillion
b) Was dieser heute bawt / reist jener morgen ein
(a: Der Postillion, Verfasser unbekannt, b: Es ist alles eitell, Gryphius)
Man sieht beim Beispiel a, dass es zwei Sätze sind. Zwischen diesen zwei Sätzen hat man die Zäsur - die Pause.
In Beispiel b hat man die Zäsur zwischen bawt und reist.
Modern geschrieben würde dieses Beispiel so aussehen:
Was dieser heute baut, reisst jener Morgen ein.
Man sehe -> zwei syntaktische Einheiten getrennt durch ein Komma.